Allgemeine Form der linearen Differenzialgleichung

Eine Lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung

Lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung
kann unter Verwendung des Summensymbols auch in der Form
Lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung, Summen-Schreibweise
aufgeschrieben werden.

Die Funktion r(x) auf der rechten Seite wird auch "Störglied" genannt (und ist bei der Lösung tatsächlich störend). Wenn diese Funktion identisch Null ist, nennt man

Homogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung
eine "Homogene lineare Differenzialgleichung".

Rotierende Kreisringscheibe

Beispiel: Für die Berechnung der Radialspannungen in einer mit der Winkelgeschwindigkeit ω rotierenden Kreisringscheibe wird im Kapitel "Rotationssysmmetrische Modelle" die Differenzialgleichung hergeleitet:

Differenzialgleichung für die Radialspannungen in einer rotierenden Kreisringscheibe
(ν ist die Querkontraktionszahl des Materials, ρ seine Dichte, die Koordinate r beginnt am Scheibenmittelpunkt). Dies ist ein lineare inhomogene Differenzialgleichung 2. Ordnung, -(3+ν)ρω2r2 ist das Störglied.

Die zu dieser Differenzialgleichung gehörende homogene Differenzalgleichung

Kreisringscheibe, homogene Differenzialgleichung
beschreibt zwar nur einen völlig uninteressanten Sachverhalt (ω = 0, also die nicht rotierende Scheibe), spielt aber für die Lösungsstrategie eine sehr wichtige Rolle.

Homogene lineare Differenzialgleichungen

Jede Funktion y(x), die die homogene lineare Differenzialgleichung

Homogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung
erfüllt, ist eine "Partikulärlösung der homogenen Differenzialgleichung".

Wenn y1 und y2 jeweils Partikulärlösungen einer homogenen linearen Differenzialgleichung sind, dann ist auch die Linearkombination
Linearkombination aus zwei Partikulärlösungen

eine Lösung dieser homogen Differenzialgleichung.

Beispiel 1: Die Bewegung der als Einführungsbeispiel behandelten freien Schwingung einer Masse m, die durch eine Feder (mit der Federzahl c) gefesselt ist, Feder-Masse-System (freier ungedämpfter Schwinger) wird durch die homogene lineare Differenzialgleichung zweiter Ordnung

Differenzialgleichung der freien ungedämpften Schwingung
beschrieben. Durch Einsetzen überzeugt man sich leicht, dass sie von den beiden Partikulärlösungen
Partikulärlösungen für die homogene Differenzialgleichung
erfüllt wird. Dann ist also auch
Linearkombination der beiden Partikulärlösungen
eine Lösung der Differenzialgleichung.

Beispiel 2: Die homogene lineare Differenzialgleichung

Homogene lineare Differenzialgleichung, Beispiel
(siehe oben angegebenes Beispiel) wird von den Partikulärlösungen
Partikulärlösungen
erfüllt, wie man sich durch Einsetzen leicht überzeugt. Dann ist auch
Lösung als Linearkombination zweier Partikulärlösungen
Lösung dieser Differenzialgleichung.

In beiden Beispielen sind die Linearkombinationen der beiden Partikulärlösungen sogar die allgemeinen Lösungen, weil die folgenden allgemeinen Kriterien erfüllt sind:

Die Lösung einer homogenen linearen Differenzialgleichung n-ter Ordnung


ist die Linearkombinationen von genau n Partikulärlösungen. Diese müssen
  • die Differenzialgleichung erfüllen und
  • linear unabhängig sein. "Linear unabhängig" heißt, dass keine der Funktionen sich als Linearkombination der anderen Funktionen darstellen lässt. Diesem etwas schwierigen Begriff ist eine eigene Seite gewidmet.
Die n Partikulärlösungen, die die genannten Kriterien erfüllen, bilden für die Differenzialgleichung ein so genanntes "Fundamentalsystem".

Damit sind die Kriterien bekannt, die die allgemeine Lösung einer homogenen linearen Differenzialgleichung erfüllen müssen. Die Frage, wie man die Funktionen findet, die ein Fundamentalsystem bilden, kann leider nicht allgemein beantwortet werden. Für einige spezielle Typen können erfolgversprechende Strategien formuliert werden. Dazu gehören zum Beispiel die für die Technische Mechanik sehr wichtigen "Linearen Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten" und die "Eulersche Differenzialgleichung".

Inhomogene lineare Differenzialgleichungen

Es gilt die folgende wichtige Aussage:

Die allgemeine Lösung einer linearen Differenzialgleichung
Lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung
kann als Summe der allgemeinen Lösung yhom der zugehörigen homogenen Differenzialgleichung und einer beliebigen Partikulärlösung ypart der inhomogenen Differenzialgleichung zusammengesetzt werden:
Allgemeine Lösung als Summe aus Lösung der homogenen Differenzialgleichung und einer Partikulärlösung

Für die Lösung einer linearen Differenzialgleichung sind also zwei Schritte erforderlich:

Beispiel: Für die als Eingangsbeispiel angegebene lineare Differenzialgleichung für die Berechnung der Radialspannungen in einer rotierenden Scheibe

Differenzialgleichung für die Radialspannungen in einer rotierenden Kreisringscheibe
wurde die Lösung der zugehörigen homogenen Differenzialgleichung bereits gefunden. Bei einem Störglied als Produkt einer Konstanten mit der Funktion r2 ist die Vermutung naheliegend, dass eine Funktion σr = A r2 mit einem geeigneten A eine Partikulärlösung sein kann, zumal die Ableitungen auf der linken Seite den Exponenten jeweils um den Wert verkleinern, der durch den vor den Ableitungen stehenden Funktionen ausgeglichen wird. Einsetzen von σr = A r2 in die Differenzialgleichung liefert:
Partikulärlösungsansatz, eingesetzt in die Differenzialgleichung
bzw.
Beziehung, aus der der Ansatzparameter ermittelt werden kann
Diese Beziehung ist für
Ansatzparameter der Partikulärlösung
identisch erfüllt, und damit hat man mit
Partikulärlösung
die gesuchte Partikulärlösung gefunden. Gemeinsam mit der bereits oben ermittelten Lösung der zugehörigen homogenen Differenzialgleichung, ist also
Allgemeine Lösung
die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung zur Berechnung der Radialspannungen in der rotierenden Scheibe. Diese Lösung ist die Basis für die Berechnung von zwei speziellen Aufgaben zu diesem Thema im Kapitel "Rotationssymmetrische Modelle".

Anwendungen, Beispiele